Quartalsblatt 2003-III

Das Braurecht in der Colonie Schwabendorf

Unter der Regie der Entwicklungsgruppe Region Burgwald eV und der Mitwirkung der Hugenotten- und Waldensergemeinden unserer Region wird am ersten Septemberwochenende (5.-7.) in Wiesenfeld im Rahmen des Partnerschaftsprojektes "Burgwald- Préalpes Drômoises" auch ein Theaterstück aufgeführt, das zum Inhalt die Ankunft und die Ansiedlung unserer Vorfahren in ihren neuen Kolonien wiedergeben soll. Dabei werden bedeutende und herausragende Ereignisse in den Kolonien aus den ersten Jahren und Jahrzehnten herausgestellt (z.B. Streitigkeiten mit deutschen Nachbargemeinden, familiäre Verbindungen, gesellschaftliche, schulische und kirchliche Entwicklung) und von "Schauspielern" überwiegend aus den ehemaligen Kolonien dargeboten. Wir (AK) werden zur Aufführung dieses Theaters unseren Mitgliedern und Freunden eine Busfahrt nach Wiesenfeld anbieten, hierzu ergeht zur geg. Zeit nähere Info. Der Regisseur des Theaterstückes (Herr Dr. Hintze) hat für Schwabendorf die wiederholten Auseinandersetzungen mit der Stadt Rauschenberg um das 1715 von Landgraf Carl der Kolonie erteilte Privileg zum Bierbrauen inhaltlich herausgestellt. Zur geschichtlichen Hintergrundinformation werden mit diesem Quartalsblatt die Ereignisse aus der Zeit der ersten Hälfte des 18. Jhds. noch einmal wiedergegeben (Auszug aus "SCHWABENDORF UND WOLFSKAUTE, 1687-1987, Tradition-Geschichte-Gegenwart; S. 220: Das Brau-, Schank- und Gasthauswesen in Schwabendorf"):

Eine besondere Begünstigung der landgräflichen Regierung Carls war für viele französische Kolonien - wie auch für Schwabendorf - die Konzession zur Bierbrauerei und Branntweinherstellung, da diese normalerweise nur ein Vorrecht der Städte war. Durchaus verständlich also, dass sich die benachbarten Rauschenberger wiederholt gegen die im Jahre 1715 den Schwabendorfer Colonisten zugestandene "Brauereygerechtigkeit" mit allen Mitteln auflehnten, bedeutete dieses Privileg doch eine Schwächung der eigenen Brauwirtschaft, obwohl die Schwabendorfer die Auflage besaßen, ihr Bier nur zum eigenen Bedarf herstellen und nichts davon in das Rauschenberger Amt verkaufen durften. Auf einem gemeinschaftlichen Platz hatte man schon frühzeitig ein "Brauhaus" errichtet, in dem das Bier hergestellt wurde. Im J. 1724 besaßen 11 Schwabendorfer Bürger insgesamt 18 sog. "Braulose", mit denen sie an den Braumengen anteilig beteiligt waren, nämlich

Claude Gautier 6 Pierre Bec 1
Jacob la Forge 1 Jean Gautier 2
François Badouin 1 Jean Tourte 1
François Grisail 1 Jean Faure 1
Johann J. Kirchhainer 1 Jean Fourmancourt 1
Daniel Aillaud 1    

Jeder Brauberechtigte konnte das ihm zustehende Bier in seiner Wohnung ausschenken oder auch im Dorf an andere Einwohner verkaufen. Damit besaß man eine zusätzliche und lohnende Einnahme-quelle. Im J. 1732 wird die Stadt Rauschenberg erneut bei der landgräflichen Regierung vorstellig und versucht, den Colonisten das Braurecht streitig zu machen. Man ist der Auffassung, die Privilegien seien längst abgelaufen und dass somit "die frantzösische Colonie gleich anderen im Amte liegenden Dorffschaften ihr benötigtes Bier und Getränk alhier abholen müssen". Der Stadtschreiber verweist ferner darauf, dass "seit diese Colonie allda, die Stadt bishero nicht den kleinsten Genuß gehabt ..... aber wohl mehr als 2000 Gulden Schaden" wegen Aufgabe des besiedelten Huteplatzes und der Mast erlitten habe, "die Colonie aber stark mit Vieh handelt und einen großen Ackerbau hat, mehrentheils Strumpfweber seyend und davon ihre Nahrung haben, darbey aber keine Contributionen geben...".

Die Schwabendorfer ersuchen ihrerseits aber die Regierung in ihrem Bittschreiben um Mitleid mit ihrer traurigen Lage und verweisen darauf, dass es durchaus im Sinne des nun "in Gott ruhenden, väterlichen Landgrafen" gewesen sei, sie gänzlich unabhängig von der Stadt zu machen, "die Stadt Rauschenberg liegt ganz abgelegen von der französischen Colonie und hat mit ihr keine Gemeinschaft", zitiert man die Conzession von 1715. Der "Geheime Rat" bestätigt daher auch das Schwabendorfer Braurecht und weist die Renthkammer an, dieses Recht zu schützen. Dennoch reißen die Streitigkeiten nicht ab und erreichen 1743 einen vorläufigen Höhepunkt. Schon zu Ostern hatte "der Wirth Badovin fremdes Bier eingeführet" und dafür "eine mäßige Strafe" erhalten, "statt dessen aber dass sich derselbe, wann er sich dadurch widerrechtlich graviert befunden höheren Ortes hätte beschweren sollen, so ist er vielmehr anderen Tages nach Marburg gefahren, und hat daselbst zwey Ohm (Anm.: ca. 320 l) Bier geladen und solches nach Schwabendorf abgeführet." Der Rauschenberger Bürgermeister hatte daraufhin "den Landknecht mit einigen Commandierten der Bürgerschaft mit Befehl abgeschickt, das eingeführte Bier zu beschlagnahmen, welche dann auch das Faß auf einen Karren geladen und aus der Colonie bis fast halben Weges nach Rauschenberg geschafft, da indeß der Grebe Pierre Grisail, der Vorsteher Jean Tourte und ein Colonist Jean Kessler einen Komplott gemacht mit einer Menge Leuthe aus dem Dorff und die Commandierten auf öffentlicher Straße angefallen, dieselben mit Gewalt und unter heftigen Bedrohungen genöthigt, ihnen das Bier zu überlassen ....wobey Heinrich Aillaud mit einem Stein in der Hand den Fuhrmann zurückgestoßen und die Stiere aufgehalten, der Vorsteher Tourte den Bindwedel abgebunden und sich damit gegen die Commandierten zur Wehr gesetzt, der Grebe nebst Kessler das Faß vom Karren gewelzet und solches nach Schwabendorf getragen, allwo sie mit einem großen Geschrei "Victorie" gerufen". Darauf wurde sogleich ein "Kommando abgeschickt um die Redelsführer dieses Auflaufes zu fassen zu bringen". Aber "weilen dieselben sich nichts gutes bewußt gewesen" seien sie "noch am selben Abend entlaufen". Der Amtsschultheiß Riemenschneider bittet die Regierung, "diese unruhigen Köpfe nachdrücklich zu bestrafen". Tatsächlich kommt es zu einem Verhör und einer gerichtlichen Verhandlung wegen dieser "Rebellion", wie die Stadt meint, und die Gemeinde wird mit einer empfindlichen Geldstrafe belegt, die der Grebe "binnen 3 Tagen" zu zahlen hat. Aber obwohl sich die Gemeinde nun allerhöflichst an die landgräfliche Regierung wendet und der Auffassung ist, ihr Bier holen zu können, wo man es wolle ("das Rauschenberger Bier ist außerdem schlecht"), bestätigt Landgraf Wilhelm die Bestrafung "wegen des Frevels halber". Auch in späteren Jahren versuchen die Schwabendorfer wiederholt, fremdes Bier vorwiegend aus Marburg ins Dorf zu holen und die behördliche Anordnung zu umgehen. Ihr eigenes Braurecht behalten sie noch für einige Jahrzehnte inne, noch Ende des 18. Jhs. kommt es wegen der Zinsleistungen zu Streitigkeiten mit Rauschenberg. gb

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