Quartalsblatt 2002-II

Schwabendorf und die Strumpfwirkerei

Jetzt ist es endlich soweit! Der an das Industriemuseum der Stadt Limbach-Oberfrohna in Sachsen zur Restaurierung übergebene Strumpfwirkstuhl ist nach einer Bearbeitungszeit von fast genau 2 Jahren nun nach Schwabendorf zurückgekehrt und hat seinen Platz in unserem Dorfmuseum wieder eingenommen! Unendliche Kleinarbeit und Bemühungen von allen beteiligten Akteuren waren erforderlich, um die großartige Leistung - vor allem der Restauratoren - an dem über 200 Jahre alten Gerät jetzt erfolgreich abschließen zu können. Damit schließt sich nun nach sieben Jahren der Kreis vom Erwerb des Gerätes in 1995, als wir aus den südlichen Cevennen (bei Le Vigan) den "oberen eisernen Rumpf" mit nach Schwabendorf bringen konnten bis zur Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit. Im 18. u. 19. Jhd. war der Strumpfwirkstuhl das wichtigste und gleichzeitig wertvollste Handwerksgerät in Schwabendorf (s. Quartalsblatt IV-95). Wir können den Museumsbesuchern nun zeigen, wie unsere hugenottischen Vorfahren auf zeitweise über 25 Wirkstühlen im Dorf Wollstrümpfe herstellten. Die Strumpffabrikation Bis zur Einwanderung der Hugenotten war die maschinelle Herstellung von Strümpfen in Deutschland unbekannt. Man trug Fußlappen und handgestrickte Strümpfe. Gewirkte, aus dem Ausland eingeführte Strümpfe wurden wegen ihres hohen Preises nur in gehobenen Kreisen getragen. Die im 16. Jhd. zunächst aus England über Frankreich nach Deutschland mitgebrachten Kenntnisse zum Bau, zur Wartung und Reparatur von Strumpfwirkstühlen (s.w.u.) waren die Voraussetzungen zur maschinellen Herstellung von Strümpfen, die sich als reinlicher, bequemer und gesünder als die gewohnten Fußlappen erwiesen. Konnten sich früher nur Hofleute die teuren, ausländischen Strümpfe leisten, so waren jetzt die gewirkten Strümpfe auch für die einfacheren Bürger erschwinglich geworden. Als Schwerpunkte der Strumpfwirkerei in Hessen galten die französischen Kolonien in Karlshafen, Leckringhausen, Kassel, Treysa/Frankenhain und Schwabendorf. In Schwabendorf zählte man zeitweise bis zu 26 Strumpfstühle, die in den kleinen "Manufacturen" in Betrieb waren. So lesen wir in einer Gewerbebeschreibung aus dem J. 1745 für Schwabendorf, die insgesamt 16 Kleinmanufakturen enthält (Quelle Staatsarchiv Marburg 49 d Kirchhain 284) : Isaac Grisart, ist 38 Jahr alt, hat 1 Frau und 5 Kinder, hält auffn Ackerbau 2 Knechte und 2 Mägde und auff die Handthierung 3 Gesellen und 1 Lehrjunge, welche auff 4 Stühle arbeiten. Hat auch 1 Wollkämmer und läßt noch in der Colonie, auch zu Frankenhain und Todenhausen vor sich arbeiten auf 9 Stühle. Isaac Badouin jun., 26 Jahr alt, hat 1 Frau und 2 Kinder, arbeitet nebst einem Lehrjungen auff 2 Stühl vor Jean Aillaud. François Aillaud, 25 Jahr alt, hat keine Frau noch Kinder, arbeitet auff 3 Stühl nebst einem Gesellen und einem Lehrjungen vor seinen Bruder. Auf einem Stuhl wird aber nur des Winthers gearbeitet. Aus dieser Beschreibung geht also auch hervor, dass in Schwabendorf Strumpfmacher ausgebildet wurden. In anderen Dokumenten finden wir ferner, daß die ausgebildeten Lehrjungen als Gesellen und Strumpfwirkermeister ("maitre faiseur de bas") später in den umliegenden Gemeinden und Städten arbeiten und Existenzen aufbauten, so in Rauschenberg, Rosenthal, Frankenberg Treysa und in Marburg. Pro Woche wurden etwa 10 Paar Strümpfe auf einem Stuhl gefertigt. Mit den hergestellten Strümpfen zogen die Strumpfmacher aus Schwabendorf auf die Messen und Märkte nach Kassel und Frankfurt, sogar mitunter bis nach Holland. Ende des 18. Jhds. wird berichtet, "daß die Colonie Schwabendorf durch die Strumpfweberei emporblüht". Zu dieser Zeit waren 60% der einheimischen Dorfbewohner im Strumpfmachergewerbe tätig, insgesamt werden 25 Strumpfwirker im Dorf gezählt.

Der Strumpfwirkstuhl Die Herstellung von Strümpfen allgemein geht zurück bis in das Altertum. Bereits aus der Römerzeit gibt es Abbildungen mit strumpfähnlichen Beinkleidern, zumeist von Geistlichen getragen. Im hohen Mittelalter werden Strümpfe und Handschuhe aus Seide und Wolle bekannt, die als Flechtarbeit mit ineinander verschlungenen Fäden mit zwei, auch vier Nadeln hergestellt wurden. Der Ursprung dieser Strickerei liegt vermutlich in Italien. Im 15. u. 16. Jhd. hatte sich die Strumpfstrickerei als anerkannte Handwerkskunst europaweit verbreitet. Die Grundlage für die Strumffabrikation aber schuf 1589 der Engländer William Lee mit der Erfindung des Wirkstuhles, der mit diesem genialen Gerät sechsmal schneller einen Strumpf herstellte als ein guter Handstricker. Hauptbestandteile dieses Lee`schen Wirkstuhles war der hölzerne Unterbau mit einem Sitzbrett für den Wirker und der oberen metallenen Wirkvorrichtung mit den Nadeln, den Platinen und der Presse. Die Arbeit auf dem Stuhl geht wiefolgt vor sich: durch Treten setzt der Wirker eine Drehscheibe und diese wiederum einen Eisenkeil, das sogenannte "Rößchen" (daher "Rößchenstuhl") in Bewegung. Das auf der Roßstange hin und her gleitende Rößchen gibt die Bewegung an die Nadeln und Platinen weiter. Die Platinen drücken den auf die Nadelschäfte gelegten Faden herab und formen ihn zu Schleifen. Dieser Vorgang heißt "Kulieren", weshalb der Rößchenstuhl auch als "Kulierstuhl" bezeichnet wird. Durch Vorbringen der Platinen werden die Schlingen auf die Nadelschäfte geschoben, worauf, nach einer leichten Rückbewegung der Platinen, eine Presse die Nadelhaken in die Einkerbungen der Nadelschäfte drückt. Damit ist der Durchgang zwischen Nadelschaft und -spitze geschlossen. Nach dem Hochziehen der Presse und nach dem Vorrücken der Platinen werden die Maschen abgeschlagen, worauf sich die neugebildeten Maschen vorschieben. Im Gegensatz zur Handstrickerei, wo der Faden mit Hilfe der Nadel durch die Masche gezogen und auf diese Weise die nächste Masche gebildet wird, formen beim Wirkstuhl die Platinen eine ganze Maschenreihe. Das Abnehmen der Maschen erfolgt, in ähnlicher Weise wie bei der Handstrickerei, mittels der Decknadel durch Einhängen der Randmaschen von ihren Nadeln auf die nächsten Nadeln. Ein einzelner Faden wird also in sich selbst zu Schlingen gelegt und so die Masche geformt. Die Verschlingung gibt dem Gewirke - im Gegensatz zum Gewebe - eine besondere Elastizität und so die Möglichkeit, sich den Körperformen anzupassen. Auf dem Wirkstuhl wurde so ein flaches Gewirke hergestellt, das erst durch Zusammennähen die Strumpfform erhielt. Die Nadelzahl entsprach der Maschenzahl, für feinere Seidenstrümpfe verwendete man mehr Nadeln als für grobere Strümpfe aus Schafwolle. (Quelle : Dr. A. Latour : "Der Strumpfwirkstuhl") Ein Händler aus dem südfranzösischen Nimes schließlich brachte im J. 1656 Kenntnisse über den Strumpfwirkstuhl nach Frankreich, nachdem er vorher in geheimer Aktion in England genaue Zeichnungen angefertigt hatte. Bis Ende des 17. Jahrhunderts entstanden überall in Frankreich rasch Manufakturen zur Verarbeitung von Seide und Wolle und im Madrider Schloß bei Paris wurde eine Fachschule zur Erlangung der Meisterwürde gegründet. Auch Lyon wurde ein Zentrum der Maschinenwirkerei, insbesondere für Seidenstrümpfe, und es ist nicht auszuschließen, daß die Gebrüder Alexandre, Claude und Jean Gautier aus l`Albenc nahe Lyon, die ohne Zweifel als die Begründer der Schwabendorfer Strumpfmanufakturen gelten müssen, ihre Kenntnisse und Möglichkeiten aus Lyon mit nach hier gebracht haben. In den Kirchenbüchern und anderen Dokumenten zu unserer Dorfgeschichte werden die Gautiers wiederholt als "Seidenhändler" und "marchands-fabricants" aus Lyon bezeichnet. Berühmt wurden auch schon bald die Seidenstrümpfe aus der Gegend von Le Vigan, der alten Heimat des Wirkstuhles, der nun sicher wertvollstes Stück in unserem Dorfmuseum geworden ist. gb

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